Luisa Neubauer in Lützerath: Das Märchen von der netten Aktivistin

Die Wortführerin der deutschen Klimaschutz-Bewegung ist nicht dafür verantwortlich, dass Steine auf Polizisten niedergehen. Aber sie ist mitverantwortlich dafür, dass sich gewaltbereite Linksextremisten in den Reihen der Demonstranten wohlfühlen.

Wenn es nach Luisa Neubauer geht, dann gleicht der Protest im nordrhein-westfälischen Lützerath einem Idyll. «Menschen aus allen Generationen, Familien, christliche Initiativen, Landwirt:innen» (sic) protestierten dort mit ihr zusammen gegen die Räumung der Siedlung. So schrieb es die 26-Jährige am Dienstag auf Twitter, wo ihr sehr viele Menschen folgen.

Kinder und Senioren, Christen und Bauern, vereint für den Klimaschutz und versammelt hinter der Wortführerin des deutschen Klimaaktivismus, die laut dem «Time»-Magazin einer der hundert «aufstrebenden Stars» der Welt von morgen ist. Ein schönes Bild. Aber es trügt.

«Schweine» und «Faschisten»

Nicht einmal 24 Stunden nach Neubauers Tweet flogen in Lützerath Steine, Flaschen, Pyrotechnik und Molotowcocktails auf Polizeibeamte. Die Angreifer waren keine Kinder oder Senioren, keine Kirchenvertreter oder Landwirte, sondern zum Teil vermummte Linksradikale, die die Einsatzkräfte als «Schweine» und «Faschisten» beschimpften. Sie mögen unter den Demonstranten in der Minderheit sein, aber sie gehören mit ins Bild.

Von Frau Neubauer war bisher nichts zur Gewalt gegen die Polizisten zu hören. Stattdessen bezeichnete sie deren «schiere Zahl» als «Provokation». Als hätten die Beamten ein Interesse an der Eskalation, als wäre es den Frauen und Männern unter den Uniformen egal, ob sie am Ende des Tages unversehrt zu ihren Familien zurückkehren würden.

Zur Erinnerung: Die Polizisten setzen in Lützerath geltendes Recht durch. Die Räumung der Siedlung – zur Förderung der darunter liegenden Kohle durch den Energieversorger RWE – ist von mehreren Gerichten bestätigt worden. «Die sich in Lützerath aufhaltenden Personen können sich (. . .) nicht auf einen Rechtfertigungsgrund des ‹zivilen Ungehorsams› berufen», erklärten die Richter des letztinstanzlich zuständigen Oberverwaltungsgerichts Münster. Das staatliche Gewaltmonopol sei einer solchen Relativierung «grundsätzlich nicht zugänglich».

Linksextreme Argumentationsmuster

So viel zur Rechtslage. Es lohnt sich auch vor diesem Hintergrund, Frau Neubauers Vorwurf der «Provokation» durch die Polizei etwas genauer anzuschauen. Er zeigt beispielhaft, dass die Radikalisierung der deutschen Klimaschutzbewegung eben nicht nur ein paar Steinewerfer betrifft. Das Framing einer Polizeipräsenz als Affront und Kampfansage gehört seit Jahren zum argumentativen Arsenal gewaltbereiter Linker. Nach dem Motto: Hätte uns die repressive Staatsmacht nicht so gereizt, hätten wir nur Lieder gesungen und Fahnen geschwenkt.

«Die Verantwortung für die Eskalation trägt die Polizei», sagte etwa die Sprecherin der Interventionistischen Linken (IL) nach den Ausschreitungen rund um den G-20-Gipfel in Hamburg im Sommer 2017. Die IL wird vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft. Ihr wird ein grosser Einfluss auf das Bündnis «Ende Gelände» nachgesagt, dessen Anhänger ebenfalls in Lützerath demonstrieren.

Frau Neubauer ist nicht verantwortlich für Steine und Flaschen, die auf Polizisten niedergehen. Das sind nur die Täter selbst. Aber als Wortführerin ist sie mitverantwortlich dafür, dass diese Leute sich in den Reihen der Demonstranten wohlfühlen und geduldet werden.

Grüne Jugend gegen grüne Politik

Ein anderer Mitverantwortlicher ist Timon Dzienus, Co-Sprecher der Grünen Jugend, zu deren Mitgliedern auch Luisa Neubauer gehört. Der 26-Jährige, der im neunten Jahr Politikwissenschaft studiert, inszeniert sich in Lützerath ebenfalls als kämpferische Stimme des Protests. Dass seine Partei die Räumung der Siedlung samt anschliessender Kohleförderung mit ausgehandelt hat und gutheisst, lässt er unerwähnt. Stattdessen verbreitet er ein Selfie mit erhobener Faust und geht mit Vorwürfen auf die Sicherheitskräfte los.

«Mit Deeskalation hat das hier wenig zu tun», so kommentiert der Sprecher der Grünen Jugend die Polizeipräsenz in Lützerath. Berichte über Gewalt gegen Beamte weist er zurück und kritisiert stattdessen angeblich grundlose Angriffe auf friedliche Protestteilnehmer. Demonstranten, die im Transporter weggefahren wurden, nennt er «Gefangene» einer «unheilvollen Allianz», bestehend aus Polizei und RWE (der Konzern ist der Eigentümer des Geländes).

Schaurigere Verschwörungsgeschichten als der junge Grüne hätten die Anhänger der linksextremen IL auch nicht erfinden können. Und das eineinhalb Wochen nach den Silvesterattacken auf Polizeibeamte in Berlin und anderen deutschen Städten.

Das Problem der deutschen Klimademonstranten ist weniger die gewaltbereite Minderheit in ihrer Mitte; wenn die Wortführerinnen und Wortführer es wollten, hätten sie sich längst glaubhaft von den Steinewerfern distanzieren können. Das Problem sind charismatische Figuren wie Neubauer und Dzienus, die genau das unterlassen und stattdessen den Jargon und die Argumentationsmuster linker Extremisten unter ihren jungen bis sehr jungen Anhängern salonfähig machen.

Der Klimawandel ist real, und er muss auch in Deutschland bekämpft werden. Aber der Gegner ist nicht der demokratische Rechtsstaat, und es sind nicht die Frauen und Männer, die dessen Entscheidungen in Uniform durchsetzen. Wer sich an dieser Erzählung beteiligt, kann kein Teil der Lösung sein.

https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/luisa-neubauer-in-luetzerath-die-maer-von-der-netten-aktivistin-ld.1720771