Irans Fußballer und der Kampf um die Bilder
Die Spieler des Iran haben bei ihrem WM-Spiel gegen Wales auf den stummen Hymnen-Protest verzichtet. Manu Thiele zeigt im aktuellen "Bolzplatz" ihre schwierige Situation auf.
Irans Nationaltem hat mit dem Schweigen bei der Hymne ein deutliches Zeichen während der WM gesetzt. Was hat das für Folgen? Manu Thiele blickt auf die Situation im Iran.Der Iran hat bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar beim 2:0-Sieg gegen Wales seinen ersten Sieg bei diesem Turnier geholt. Bevor das Spiel begann, waren alle Augen darauf gerichtet, ob die Spieler dieses Mal die Hymne mitsingen würden. Anders als vor dem 2:6 gegen England taten sie es diesmal.
Schweigen als Unterstützung
Das Schweigen der iranischen Spieler beim WM-Auftakt war weltweit als stummes Zeichen der Unterstützung für die Proteste in Iran gegen das Mullah-Regime gewertet worden. Die Bilder davon gingen um die Welt und erreichten auf vielen Kanälen auch den Iran, dessen Fernsehen sich bei der Hymne ausgeblendet hatte.
Während die WM läuft, protestieren Iraner gegen das Regime. Menschenrechtsaktivistin Tuğba Tekkal schätzt die Lage ein und mögliche Folgen des Protests des iranischen Teams."Das war ein wichtiges Zeichen der Solidarität für die Menschen, die im Iran auf die Straße gehen", sagt die Menschenrechtsaktivistin Tugba Tekkal im Gespräch mit Manu Thiele. In seiner aktuellen Bolzplatz-Sendung beschäftigt sich Thiele ausführlich mit den Hintergründen und möglichen Folgen dieses Protestes.
Die Spieler setzen nicht nur ihre Karriere aufs Spiel, sondern auch ihr Leben und das ihrer Familien,
Tugba Tekkal, iranische Menschenrechtsaktivistin
schildert Tekkal, die früher selbst Profi-Fußballerin war, das Risiko, dem sich die protestierenden Fußballer aussetzen.
Kapitan zeigt Verbundenheit mit Protestierenden
Bereits vor dem Spiel gegen England hatte Kapitän Ehsan Hajsafi seine Verbundenheit mit seinen Landsleuten geäußert. "Wir müssen akzeptieren, dass die Bedingungen in unserem Land nicht stimmen und unsere Leute nicht glücklich sind", sagte Hajsafi. "Sie sollen wissen, dass wir bei ihnen sind. Und wir unterstützen sie. Und wir sympathisieren mit ihnen in Bezug auf die Bedingungen."
Dieter Karg von Amnesty International über das Nicht-Singen der Nationalhymne durch die iranischen Nationalspieler und mögliche Konsequenzen.Wie ernst das Regime seine vor der WM gegen mögliche Kritiker ausgesprochenen Drohungen meint, zeigt aktuell der Fall des nicht für die WM nominierten Außenverteidigers Voria Ghafouri. Vor wenigen Tagen wurde er laut einem Bericht der regierungsnahen Nachrichtenagentur Tasnim wegen Propaganda gegen das iranische Politsystem und Beleidigung der Nationalmannschaft festgenommen.
Solidarische Ex-Bundesliga-Profis
Bereits vor der WM war Fußball-Idol Ali Daei der Pass entzogen und vorübergehend verhaftet worden, weil er an einer Trauerzeremonie für Mahsa Amini teilnehmen wollte, deren Tod die Proteste ausgelöst hatte, die vom Regime mit großer Brutalität bekämpft werden. Die in Oslo ansässige Organisation Iran Human Rights (IHR) geht von mehr als 400 Todesopfern seit Beginn der Proteste aus, unter ihnen mehr als 50 Kinder.
Daei forderte das Regime auf, "die Probleme des iranischen Volkes zu lösen", anstatt zu "Repression, Gewalt und Verhaftungen" zu greifen und sich damit an die Seite ähnlich bekannter Fußballer wie Ali Karimi, Mehdi Mahdavikia oder Vahid Hashemian gestellt.
Daei blieb trotz Anfeindungen im Land und schlug kurz vor der WM eine Einladung des Weltverbands FIFA aus, mit seiner Familie in Katar das iranische Team zu unterstützen.
Kampf um die Bilder
Fußball ist neben Ringen Volkssport Nummer Eins im Iran. Direkt nach der Islamischen Revolution scheuten sich die Religionsführer, ihn wie andere "westliche" Sportarten zu verbieten, weil er zu beliebt im Volk war. Stattdessen nutzen sie ihn als Instrument, um internationale Akzeptanz zu erzielen. Von der WM im befreundeten Katar, mit dem sich der Iran das größte Gasfeld der Welt teilt, erhofften sie sich positive Bilder, die die Bilder von gewaltsam unterbundenen Protesten im eigenen Land übertünchen sollten.
Stattdessen hat die Mannschaft im Spiel gegen England genau die Bilder geliefert, die die Machthaber in Teheran nicht wollten. Diese verblassen auch nicht dadurch, dass die Spieler im zweiten WM-Spiel die Hymne gesungen haben.
Menschenrechte oder Millionen? Anlässlich der umstrittensten Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten reist die ZDF-Korrespondentin Golineh Atai durch Arabien.
https://www.zdf.de/nachrichten/sport/bolzplatz-manu-thiele-iran-fussballer-wm-hymne-protest-100.html