Heißt es „diesen Jahres“ oder „dieses Jahres“? Die neue Duden-Grammatik bietet fundierte linguistische Informationen auf dem aktuellen Forschungsstand.
„Unentbehrlich für richtiges Deutsch“ – so stand es bislang auf dem Buchdeckel der Duden-Grammatik. Doch die neue Ausgabe – es ist die zehnte Auflage – wirbt nicht mehr mit diesem normativen Anspruch, stattdessen heißt es nüchtern: „Struktur und Verwendung der deutschen Sprache“. Diese Umtitulierung wäre schon bei den beiden vorangegangenen Auflagen von 2005 und 2016 fällig gewesen. Für schnelle Korrektheitsauskünfte war die in den vergangenen Jahrzehnten immer deskriptiver und detaillierter gewordene Duden-Grammatik schon lange kein optimales Nachschlagewerk mehr. Zum einen scheuten ihre Autoren aus einer wissenschaftlichen Bewertungsabstinenz heraus bei grammatischen Zweifelsfällen häufig klare Urteile, zum anderen waren die gesuchten Auskünfte für linguistische Laien in der komplexen Informationsfülle oft nur mühsam zu finden.
Demgegenüber öffnet sich die jüngst erschienene Duden-Grammatik, die komplett neu verfasst wurde, sogar wieder ein wenig den Orientierungsbedürfnissen schreibender oder korrigierender Nutzer: Sie finden am Ende des Buches eine Übersicht häufiger Zweifelsfälle mit Verweisen auf die entsprechenden Abschnitte. Wer auf die Schnelle wissen will, ob er „Weder der Deutschlehrer noch der Germanistikprofessor weiß die Antwort“ oder besser „wissen die Antwort“ schreiben sollte oder ob es „diesen Jahres“ oder „dieses Jahres“ heißt, findet die Informationen, ohne sich den Weg über Fachbegriffe wie „Kongruenz“, „Demonstrativpronomen“ oder „schwache Flexion“ bahnen zu müssen. Der Umfang der Neuausgabe ist gegenüber der letzten Auflage um ein gutes Viertel geschrumpft und mit ihren fast tausend Seiten ein vergleichsweise schlankes Werk.
Eine übersichtliche Gliederung
Herausgeberin ist Angelika Wöllstein, stellvertretende Direktorin des Instituts für Deutsche Sprache, die auch schon die vorangegangene Ausgabe betreut hat. Große Veränderungen hat es hingegen im Autorenteam gegeben. Nur drei der elf Autoren waren schon bei der vorigen Ausgabe dabei: Peter Gallmann, einer breiteren Öffentlichkeit als Orthographiereformer bekannt geworden, hat verschiedene Abschnitte zu Wortarten und Satzgliedern verfasst. Die Sprachhistorikerin Damaris Nübling, als Verfechterin des Genderns ebenfalls öffentlich hervorgetreten, ist für das Thema „Variation und Sprachwandel“ zuständig.
Der dritte „Veteran“ ist der Niederdeutschforscher und Soziolinguist Jörg Peters, der die lautlichen Eigenschaften von Sätzen, Wörtern und Silben behandelt. Zu denen, auf deren neuerliche Mitarbeit die Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum hingegen verzichtete, gehört Peter Eisenberg, der sich als Kritiker der Orthographiereform und des Genderns positioniert hat. Allerdings hatte Eisenberg seinerseits der Redaktion schon zuvor mitgeteilt, dass er die „Duden-Linie“ nicht mehr vertreten könne.
Wie ihre Vorgänger besetzt auch diese Neuauflage den Bereich zwischen einer rein wissenschaftlichen und einer an praktischen Nutzerinteressen orientierten Grammatik. Der Stil ist dementsprechend fachlich, kommt aber ohne allzu technisch-formale Darstellungsweisen aus. Zahlreiche Sprachbeispiele machen die grammatischen Beschreibungen und Analysen gut nachvollziehbar. Die linguistische Terminologie, mit der es der Leser zu tun bekommt, geht weit über das hinaus, was aus dem Deutsch- oder Lateinunterricht noch bekannt sein mag. Sie ist aber unentbehrlich für eine systematische und fachlich präzise Darstellung, die auch den Ansprüchen von Deutschlehrern oder Germanistikstudenten genügt.